Zwischen den Welten
Ethnotourismus in Westneuguinea
In unserer Vorstellung gibt es kaum einen wilderen Flecken Erde als Westneuguinea. Menschenfresser, Steinzeitwerkzeuge und Grashütten beflügeln unsere Fantasie. Sie wecken die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Unberührten, nach Teilhabe am echten Leben der einheimischen Bevölkerung. Einer Fiktion, die der Ethnotourist mit Hingabe nachjagt. Indem er es findet, zerstört er jedoch das, was er sucht. Mit seinem Eindringen in das Sozialsystem der Indigenen bringt er Strukturen ins wanken und weckt Begehrlichkeiten von materiellem Wohlstand und vermeintlicher Fortschrittlichkeit. Tradition verliert an Wert, Althergebrachtes wird aufgegeben. Authentizität muss folglich inszeniert werden, um den Erwartungen der zahlungskräftigen Besucher zu entsprechen. Das unreflektierte Rollenspiel auf der Bühne der Tourismusindustrie führt bei allen Beteiligten zu Orientierungslosigkeit und bringt einen Verlust an Identität und Realitätsbezug. Aus dem stolzen Krieger und Lebenskünstler der Subsistenzwirtschaft wird ein Bittsteller und Lumpenträger. Der kulturinteressierte Reisende mutiert In Kolonialmanier unbewusst zu einem Eroberer. Gegensätze wie Urlaub und Alltag, Ablehnung und Begehren, Tradition und modernes Leben kollidieren auf unserer Reise zwischen den Welten …
Als Fotograf tritt man mit der Welt an sich in Beziehung und lernt, sie durch das Bild besser zu verstehen.
Erich Lessing, Kurier 2014